Interview mit dem Pinneberger Tageblatt vom 03.01.2020

„Der ‚Tiefschlaf‘ ist lange beendet“

Erschienen im Pinneberger Tageblatt am 03. und 04.01.2020

Interview mit Bürgermeisterin Urte Steinberg (parteilos) / Verwaltung will die Digitalisierung vorantreiben und Bürgerservice verbessern

Welche Projekte packt Pinneberg 2020 an? Welche Planungen werden angestoßen? Im Gespräch mit Redakteur René Erdbrügger spricht Bürgermeisterin Urte Steinberg (parteilos) über ihre Agenda für die nächsten Monate. Fest steht: Pinneberg
investiert 2020 kräftig in die Schulen. Aber auch die schwarze Null hat die Bürgermeisterin weiter im Fokus.

Westumgehung und Innenstadtsanierung sind fertig. Für die Bauarbeiten an drei Schulen wurde grünes Licht gegeben. Sind Sie zufrieden?
Ja, sehr. Es war ein langer Weg, der manchmal ganz schön steinig, holprig und gewunden war. Immer mehr werden Erfolge sichtbar. Der Ersatzbau an der Johann-Comenius-Schule wächst genauso wie der neue Bahnhof mit seinem Umfeld. Die fertig gestellte Westumgehung wird reichlich genutzt. Und die Theodor-Heuss-Schule ist bald komplett saniert. Das sind nur Beispiele. Insgesamt wird es auch Zeit. Weil wir endlich sehen möchten und müssen, was wir da eigentlich geleistet haben in den vergangenen Jahren – sowohl die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung als auch die Politik und die Bevölkerung mit Initiativen oder beim Aushalten der Widrigkeiten von Baustellen. Es ist Zeit, die Früchte zu ernten. Und auch zu genießen.

Werden Sie von Bürgern darauf angesprochen?
Ja, oft. Manchmal geht es um Unverständnis, weil vieles so lange gedauert hat oder immer noch andauert. Aber Baumaßnahmen brauchen ihre Zeit. Und manchmal eben auch Jahre. Bei allem, was öffentliche Einrichtungen betrifft, ist entsetzlich viel zu bedenken – Eigentumsverhältnisse, Zuständigkeiten, Fördergelder, Befindlichkeiten, die aktuelle Baukonjunktur, Ausschreibungen, Planungsbeteiligungen verschiedenster Protagonisten. Öffentliches Bauen geht nicht so schnell wie privates. Manchmal leider. Manchmal aber auch zu recht. Andere, gerade jetzt in der Weihnachtszeit, kommen auf mich zu und danken mir, dass endlich was in Pinneberg passiert (ist). Der sogenannte Tiefschlaf ist lange beendet. Eine Stadt im Aufbruch hat sich zu einer Stadt im Aufwind gemausert. Sehen wir alle zu, dass es so bleibt. An dieser Stelle möchte ich all denjenigen danken, die dazu beigetragen haben oder weiter beitragen, unsere Stadt noch liebenswerter zu machen.

Pinneberg hat einen hauptamtlichen Ersten Stadtrat. Merken Sie eine Erleichterung?
Ja. Herr Bohlen hat sich sehr schnell eingearbeitet und leistet Hervorragendes. Ich freue mich sehr, dass wir so einen kompetenten Mitarbeiter in der Verwaltungsspitze gefunden haben.

Der ErsteStadtrat hat jüngst gesagt, dass Pinneberg finanziell handlungsunfähig ist. Was sagen Sie dazu?
Sagen wir, das ist seinem Ehrgeiz und seinem wirklich tollen Engagement geschuldet und vielleicht im Eifer des Gefechts eine Spur zu überspitzt ausgedrückt gewesen. Natürlich sind wir nicht handlungsunfähig – ich bitte Sie, schauen Sie sich doch nur Ihre erste Frage an. Richtig ist aber auch, dass wir nicht machen können, was wir wollen – sehr zum Leidwesen der Politik. Kiel hat nach wie vor den Daumen drauf. Und das ist – wenn man mal ehrlich ist – nichts anderes als die Quittung für lange Zeit
zu kurzfristiges Denken. Und das heißt im Klartext: Wir können nicht mehr ausgeben als wir haben. Es ist ziemlich simpel. Jeder weiß, was es bedeutet, wenn er seinen Dispokredit überzieht. Das ist bei einer Stadt nicht anders.

Halten Sie immer noch an der schwarzen Null fest?
Selbstverständlich. Wenn wir – trotz größter Kraftanstrengungen von Politik und Verwaltung – unser leider immer noch etwas lädiertes Finanzimage in Kiel beseitigen wollen, müssen wir wieder komplett kreditwürdig werden. Oder um es auch mal überspitzt auszudrücken: Reißen wir uns nicht zusammen, bestimmt Kiel die Spielregeln. Mit der Erstellung der Jahresabschlüsse sind wir jetzt à jour. 2018 ist auch fertiggestellt. Ein Kraftakt. Denn seit dem Jahr 2013 haben wir die Eröffnungsbilanz
2009 erstellt und alle Jahresabschlüsse 2009 bis 2018 nachgeholt. Das Ganze war im Übrigen nur mit zusätzlicher externer Unterstützung möglich. Dafür bin ich insbesondere dem Kreis Pinneberg und dem Amt Geest und Marsch Südholstein sehr
dankbar. Nun gilt es, die schwarze Null zu erreichen. Einen ersten Schritt in diese Richtung haben wir mit dem Haushalt 2019 gezeigt. Der Haushalt 2020 ist mit einem deutlich geringeren Defizit als 2018 schon in Kiel und bereits zu großen Teilen genehmigt. Auch ein Kraftakt – von allen Seiten. Was bleibt, ist die Anstrengungen fortzuführen und dabei zu intensivieren.

Es gibt eine Liste aller Investitionen für die nächsten Jahre. Es wird von Kosten in Höhe von 100 Millionen Euro ausgegangen. Wie wollen Sie das überhaupt realisieren?
Schritt für Schritt, nach und nach, Jahr für Jahr. Anders geht es nicht. Das ist doch logisch. Und Pinneberg kann das auch schaffen. Wenn wir – und damit meine ich sowohl die Verwaltung als auch die Politik – diszipliniert planen, uns an Absprachen halten und nicht „Wünsch-Dir-was-in-Pinneberg“ spielen.

Es werden Prioritäten gesetzt. Die Sanierung der Ernst-Paasch-Halle läuft unter ferner liefen. Warum?
Das habe ich gerade beantwortet. Weil die Politik priorisieren muss. Es bleibt gar nichts anderes übrig. Es ist wie mit einem Patienten. Eine kleinere wichtige, jedoch für die Stadt nicht lebensnotwendige OP muss warten, bis die Pumpe wieder auf Vordermann ist. Die hält den Rest nämlich am Leben. Und jetzt legen Sie mir nicht in den Mund, ich würde Kultur für überflüssig halten. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn man aber als Stadt um seinen Haushalt kämpft, muss es erlaubt sein, eine Kulturstätte vom Prio-Platz A auf C zu verschieben.Die Planungen laufen derzeit weiter. Man weiß ja nie, ob sich nicht spontan eine Förderung im mehrfach zweistelligen prozentualen Bereich oder eine extrem hohe Spende auftut. Und dann muss Pinneberg bereit sein, die Chance beim Schopf zu ergreifen.

Welche Projekte werden 2020 angepackt?
Unser Haushalt lässt uns leider nicht den Spielraum zu, den sich viele wünschen. Da muss die Politik Prioritäten setzen. Und das hat sie mit der letzten Ratsversammlung in diesem Jahr getan. Für 2020 sind folgende Großprojekte, die für alle Bürgerinnen und Bürger sichtbar werden, geplant: der Umbau an der Hans-Claussen-Schule, damit eine Mensa entsteht, die Fertigstellung des Ersatzbaus an der Johann-Comenius-Schule, der Abschluss der Sanierungen an der Theodor-Heuss-Schule, erste Tiefbau-Arbeiten an der Grund- und Gemeinschaftsschule im Quellental zur Vorbereitung des Ersatzbaus für den Grundschulbereich, der Bau des Kunstrasenplatzes im Stadion 2, der Beginn der Erschließung des Gewerbegebietes
Müssentwiete, der Umbau des Taxenstandes am Bahnhof und der erste Bauabschnitt der Ebertpassage.

Gibt es weitere Planungen in diesem Jahr?
Daneben gilt es, in 2020 die Weichen für der nächsten zehn Jahre zu stellen und eine investive Maßnahmenliste auf den Weg zu bringen, einen ausgeglichenen Haushaltsentwurf 2021 anzusteuern, nach jahrelanger Aufholjagd mit der Erstellung der Jahresabschlüsse weiter à jour zu bleiben, unser bestehendes Personalentwicklungskonzept weiter zu erarbeiten, die zunehmende Digitalisierung voranzutreiben und in Verbindung damit unsere Homepage zu aktualisieren, den Bürgerservice weiter zu verbessern, ein neues IT-Konzept für unsere Schulen zu planen, die Leerstandsquote in der Innenstadt soweit wie möglich zu reduzieren, neue Firmen nach Pinneberg zu holen und bestehende nach ihrem Bedarf gut zu begleiten. Sie sehen, es gibt auch in meiner zweiten Amtszeit immer noch viel zu tun.

Können Sie etwas zum Leerstand in Pinneberg sagen?
Schwieriges Thema. Der Wirtschaftsförderer und das Stadtmarketing haben sich Ihnen gegenüber dazu schon geäußert. Wir alle sehen die Krise im traditionellen Einzelhandel. Das ist kein Pinneberg-Problem, sondern ein europaweites. Und wir sehen die Wünsche der Eigentümer. Beides passt im Moment an manchen Stellen nicht gut zusammen. Wir als Stadt tun alles, was wir können. Vor meiner Amtszeit wurde die Stelle eines Wirtschaftsförderers eingerichtet, 2011 wurde zusätzlich zur Wirtschaftsgemeinschaft ein Stadtmarketingverein mitbegründet. Wir schaffen wie mit dem Westring gute Verkehrsanbindungen, wir geben Studien und Umfragen in Auftrag, fragen Experten um Rat, wir gestalten Flächen und ganze Fußgängerzonen wie gerade den Rathausplatz neu, verlegen die Wochenmärkte, unterstützen Veranstaltungen oder machen selbst welche. Unsere Stadtentwicklung plant, baut und tut, Wohngebiete, Gewerbegebiete werden ausgewiesen und erschlossen, – alles nur, damit sich alle hier wohlfühlen. Aber dass viele Menschen online oder in großen Gewerbegebieten mit vielen Parkplätzen shoppen wollen – das können wir weder ändern noch aufhalten. Das ist ein gesellschaftliches Thema. Also: Machen wir das Beste draus. Und denken darüber nach, wie man Flächen anders nutzen kann und müsste. Und deshalb habe ich auch jedes Jahr zu Citygesprächen eingeladen. Mal öffentlich, mal nur mit Eigentümern.

Wie sieht es mit einem Kino für Pinneberg aus?
Einer der größten Wünsche für Pinneberg. Das fände ich richtig toll. Sie glauben gar nicht, wie viele Gespräche wir deswegen schon geführt haben. Und wir werden auch weiterhin welche führen. Hartnäckig. Bis wir jemanden gefunden haben, der Pinneberg diesen Wunsch gern und mit Leidenschaft erfüllt. Als Investor und als Betreiber. Denn bisher hat beides zusammen noch nicht geklappt. Mal hatten wir den einen, mal den anderen. Aber Aufgeben gibt es nicht. Dranbleiben ist das Zauberwort.

Trauen Sie sich den Posten des Landrats zu?
Gibt es eigentlich irgendjemanden, den Sie dazu noch nicht befragt haben? Man könnte ja fast denken, niemand habe Lust auf dieses Amt. Ein hochspannendes Amt übrigens, wie ich finde. Ich persönlich habe aber gerade in Pinneberg ziemlich viel um die Ohren, das es zu bewältigen gilt. Ich denke da nur an den Haushalt, die Schulbausanierung oder den Bau von neuen Kitas.

Wie sieht es mit einem Ministerposten im Land aus?
Aber natürlich – wenn ich Ambitionen in diese Richtung hätte. Landespolitik finde ich sehr interessant. Und sehr lehrreich. Ich habe gute Verbindungen in die Landeshauptstadt. Aber eine Karriere in Kiel habe ich nie angestrebt. Und das tue ich auch jetzt nicht.